Der Freiburger Germanist Johannes Franzen veröffentlicht seine Dissertation zum „Schlüsselroman“
Der Schlüsselroman bezeichnet eine als eher fragwürdig angesehene literarische Gattung: Er provoziert die Wiedererkennbarkeit realer Personen hinter scheinbar fiktiven Figuren. Daher kann er als Instrument des Ausplauderns intimer Details und der Verleumdung dienen. Der Freiburger Germanist Johannes Franzen zeigt in seiner Dissertation „Indiskrete Fiktionen“, dass insbesondere moralische Probleme im Fall des Schlüsselromans auf besondere Art deutlich werden: „Die Arbeit bewegt sich in einem Bereich, wo Literatur weh tun kann und weh tun soll.“
Was darf Literatur, was darf sie nicht?
Im Mittelpunkt der Dissertation stehen zahlreiche Schlüsselromanereignisse, die seit den 1960er Jahren als Feuilletondebatten das literarische Feld geprägt haben. Dazu zählen etwa die Skandale um Thomas Bernhards „Holzfällen“, Martin Walsers „Tod eines Kritikers“ oder Norbert Gstreins „Das Handwerk des Tötens“. Neben einer gattungs- und fiktionstheoretischen Bestimmung der Textsorte geht es Franzen vor allem darum, den Schlüsselroman als ständigen produktiven Störfaktor darzustellen, der grundlegende literaturtheoretische Fragen aufwirft: Welche Verantwortung müssen Autorinnen und Autoren für ihre Texte übernehmen? Was darf Literatur, was darf sie nicht?
Die Rekonstruktion von Debatten und Skandalen der vergangenen Jahrzehnte zeige vor allem, dass die Medien in Schlüsselromanereignissen eine wichtige Rolle spielen, bilanziert Franzen und weist auf einen Widerspruch hin: „Einerseits verdammen viele Kommentatorinnen und Kommentatoren die Gattung als subliterarisch und unfein, andererseits beteiligen sie sich mit großem Enthusiasmus an den Kontroversen.“ So zeigt er etwa am Beispiel der Diskussion über „Das Magazin“, in dem Hellmuth Karasek seine Arbeit beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ thematisiert: Das Feuilleton wertet die Verschlüsselungen zwar offiziell ab, nimmt aber gleichzeitig eine inoffizielle Komplizenrolle ein, weil es das erforderliche Wissen, mit dem der Roman entschlüsselt werden kann, überhaupt erst verbreitet. Gleichzeitig rekonstruiert Franzen die ethischen Konflikte, die mit der Gattung einhergehen. Dabei nimmt er sowohl die „Täter“, die Autoren also, die sich auf die Freiheit ihrer Kunst berufen, in den Blick, als auch die „Opfer“, die gegen ihren Willen in literarische Figuren verwandelt werden.
Johannes Franzen hat an der Albert-Ludwigs-Universität Deutsch, Geschichte und Englisch studiert. 2016 wurde er mit der nun erschienen Dissertation im Fach Neuere Deutsche Literatur promoviert.
Originalveröffentlichung:
Franzen, Johannes (2018): Indiskrete Fiktionen. Theorie und Praxis des Schlüsselromans 1960-2015. Göttingen.