Der Begriff „Krise“ ist derzeit fast unauflöslich mit dem Wort „Corona“ verbunden.
fzm, Stuttgart, April 2020 – Die Pandemie hat nicht nur gesundheitliche, sondern auch wirtschaftliche und politische Dimensionen und wirkt sich damit auf jeden einzelnen in der Gesellschaft aus. In der Psychologie bezeichnen Krisen jede Art von Veränderung oder Umbruch, für die dem Betroffenen zunächst eine Lösungsperspektive fehlt. Damit, welche Krisentypen und welche Bewältigungsstrategien es gibt, beschäftigen sich zwei Beiträge in der Fachzeitschrift „PiD Psychotherapie im Dialog“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2020).
Das Ende einer Beziehung, der Tod eines Angehörigen, eine schwere Erkrankung oder der Verlust des Arbeitsplatzes – es gibt eine Vielzahl von Auslösern, die einen Menschen in eine persönliche Krise stürzen können. „Der Betroffene fällt aus seiner Routine und findet sich in einer neuen Situation wieder, in der gewohnte Problemlösungsansätze plötzlich nicht mehr hilfreich sind“, erklärt Dr. Diplom-Psychologe Hans Lieb, der eine psychotherapeutische Praxis in Edenkoben betreibt und als Lehrtherapeut für Verhaltens- und Systemtherapie tätig ist. Die Herausforderung sei dann, eine neue Balance zu finden und letztlich zu einer neuen Normalität zu gelangen.
Mit dieser Herausforderung gehen die Menschen sehr unterschiedlich um. Gemeinsam mit Diplom-Psychologin Barbara Brink, einer Kollegin vom Institut für Familientherapie in Weinheim, hat Lieb fünf Krisenbewältigungstypen ausgemacht, die sich im Umgang mit krisenhaften Situationen und der Suche nach einem Ausweg deutlich unterscheiden.
Der „schnelle Handler“ etwa begegnet der Krise mit rascher, aktiver Problemlösung und trifft schnell Entscheidungen. Dabei vertraut er am liebsten auf sich selbst, nimmt ungern Hilfe an und läuft Gefahr, über das sinnvolle Maß hinaus in Aktionismus zu verfallen. Ganz anders gehen „Nebler“ mit der Situation um: Sie vermeiden Entscheidungen, möchten sich nicht festlegen (lassen) und sind innerlich zerrissen. „Damit verwirren sie nicht nur andere, sondern auch sich selbst“, haben Brink und Lieb beobachtet. Auf der anderen Seite lassen sie sich Zeit für wichtige Differenzierungen und schützen sich so vor übereilten Entscheidungen. In ähnlicher Weise sind auch die drei übrigen Bewältigungstypen mit Stärken und Ressourcen, aber auch mit Schwächen verbunden. „Einsame Wölfe“ etwa ziehen sich in Krisen eher zurück und verlassen sich vor allem auf sich selbst, „chronisch Kriselnde“ dagegen befinden sich praktisch ständig im Krisenmodus und lassen andere daran ausgiebig teilhaben. „Wisser und Vergesser“ schließlich haben in ihrem Leben schon viele Krisen gut gemeistert, fühlen sich in der akuten Situation aber trotzdem hilflos.
Aus therapeutischer Sicht ist es wichtig, jeden dieser Bewältigungsstile oder individuelle Mischformen anzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. „Keine dieser Verhaltens- und Erlebensweisen sollte pathologisiert werden“, sagen Lieb und Brink. Vielmehr gelte es, die darin enthaltenen Lösungsansätze und Ressourcen zu nutzen. Auch für die Betroffenen sei es hilfreich, sich die eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu machen und sich gleichzeitig die Ressourcen der anderen Bewältigungsstile vor Augen zu führen. „Eine flexible und gute Krisenbewältigung speist sich letztlich aus den Ressourcen aller fünf Stile“, so die Autoren. „Auf dem Weg, uns diese Ressourcen zu erschließen, sind wir alle – immer wieder und ein Leben lang.“
H. Lieb, B. Brink:
Krisenbewältigungsstile: Merkmale, Erlebensweisen, therapeutische Konsequenzen
PiD Psychotherapie im Dialog 2020; 21 (1); S. 89–93
H. Lieb:
Krisen: Merkmale, Varianten, Bewältigung
PiD Psychotherapie im Dialog 2020; 21 (1); S. 25–32