Bitte mehr staatliche Anreize zur Vermögensbildung
Neue Zusatzstichprobe des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) schließt Datenlücke im Bereich hoher Vermögen – Reichstes Prozent der Bevölkerung vereint rund 35 statt knapp 22 Prozent des individuellen Nettovermögens auf sich – In Gruppe der MillionärInnen sind überdurchschnittlich oft Männer, die älter, besser gebildet und zufriedener sind – Vermögenskonten mit staatlicher Förderung könnten Vermögensbildung bei Haushalten aus unterer Hälfte der Verteilung unterstützen
Millionärinnen und Millionäre waren in Bevölkerungsbefragungen bislang kaum vertreten – entsprechend wenig wusste man über sie. Auch blieb das exakte Ausmaß der Vermögenskonzentration in Deutschland unklar. ForscherInnen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) ist es nun gelungen, diese Datenlücke zu schließen: mit einer neuen Zusatzstichprobe, in der Menschen mit hohen Vermögen stark überrepräsentiert sind, um deren Unterrepräsentation in der regulären SOEP-Stichprobe zu korrigieren.
Berechnungen auf dieser Grundlage und unter Hinzunahme öffentlich zugänglicher Reichenlisten ergeben, dass die Konzentration der individuellen Nettovermögen in Deutschland höher ist als bislang ausgewiesen: Die oberen zehn Prozent besitzen demnach gut zwei Drittel des Nettovermögens, zuvor war man von knapp 59 Prozent ausgegangen. Allein das reichste Prozent der Bevölkerung vereint rund 35 (statt knapp 22 Prozent) des Vermögens auf sich. Etwa 1,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland besitzen ein individuelles Nettovermögen, also das Bruttovermögen abzüglich der Schulden, von mindestens einer Million Euro. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Vermögenshöhe von der übrigen Bevölkerung: Es handelt sich überdurchschnittlich oft um Männer, die älter, besser gebildet, selbständig und zufriedener mit ihrem Leben sind.
„Dank der neuen Daten können wir Millionärinnen und Millionäre erstmals genauer unter die Lupe nehmen und sowohl ihr Vermögen als auch Merkmale wie Alter, Bildung und Berufstätigkeit wirklich verlässlich beschreiben. Untersuchungen beispielsweise zur Vermögensverteilung in Deutschland werden ohne den bisher blinden Fleck im Bereich hoher Vermögen wesentlich aussagekräftiger“, erklärt Carsten Schröder vom Sozio-oekonomischen Panel, der die Studie gemeinsam mit Markus Grabka, Charlotte Bartels, Johannes König und Konstantin Göbler verfasst hat.
Hochvermögende werden über Unternehmensbeteiligungen identifiziert
Um Personen mit hohen Vermögen zu identifizieren, haben sich die ForscherInnen einen empirischen Befund zu Nutze gemacht: Wer ein hohes Nettovermögen hat, hält in der Regel zumindest einen Teil dieses Vermögens in Form von Anteilen an Unternehmen. Deshalb wurde aus einer Datenbank mit 1,7 Millionen Menschen, die in Deutschland wohnen und in nennenswertem Umfang an Unternehmen weltweit beteiligt sind, eine repräsentative Zufallsstichprobe mit fast 2.000 Personen erstellt, genannt SOEP-P. Im Vergleich zur regulären SOEP-Stichprobe liegt das Nettovermögen in dieser neuen Stichprobe im Durchschnitt 21 mal höher. SOEP-P schließt die Datenlücke für Vermögen von etwa drei bis 250 Millionen Euro. Um auch noch höhere Vermögen einzubeziehen, wurde auf öffentlich zugängliche Reichenlisten des Manager Magazins zurückgegriffen, da diese eine besonders hohe Vermögenskonzentration aufweisen.
Die Berechnungen auf Basis des aus allen drei Quellen erstellten Datensatzes ergeben ein vollständiges Bild der Vermögensverteilung in Deutschland. Der Median, also das Vermögen der Person genau in der Mitte der Vermögensverteilung, bleibt nach Hinzunahme beider neuen Datenquellen fast unverändert (22.800 Euro statt zuvor 22.000). Die Gruppe des reichsten Prozents der Vermögensverteilung beispielsweise beginnt aber nach Berücksichtigung der Zusatzstichprobe SOEP-P bei einem Nettovermögen von mehr als 1,3 Millionen Euro statt zuvor gut einer Million Euro.
Unter den MillionärInnen ist der Anteil von Frauen mit gerade einmal gut 30 Prozent relativ gering. 14 Prozent haben einen Migrationshintergrund, sechs Prozent kommen aus den neuen Bundesländern und 40 Prozent sind über 65 Jahre alt. Trotz des fortgeschrittenen Alters sind 62 Prozent noch berufstätig, der Großteil davon selbständig. Insgesamt sind MillionärInnen deutlich zufriedener als der Durchschnitt der übrigen Bevölkerung, sowohl allgemein mit ihrem Leben als auch in fast allen Teilbereichen wie Familie, Einkommen und Gesundheit. Lediglich die Zufriedenheit mit Blick auf die Freizeit ist eine Ausnahme – das liegt vermutlich daran, dass MillionärInnen von einer deutlich höheren wöchentlichen Arbeitszeit berichten.
Mehr staatliche Anreize zur Vermögensbildung wären sinnvoll
Möchte man der auch im internationalen Vergleich sehr ungleichen Vermögensverteilung entgegentreten, sollte der Vermögensaufbau in der Breite der Bevölkerung unterstützt werden. Ein Ansatz wäre eine Reform der staatlich geförderten privaten Alterssicherung. So könnten individualisierte Vermögenskonten eingeführt werden, in die der Staat für Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten einzahlt und auf die dann später ab einem bestimmten Alter zugegriffen werden kann. Auch eine veränderte Förderung des Immobilienbesitzes ist in Erwägung zu ziehen. „Staatliche Anreize zur Vermögensbildung sollten gegenüber einer stärkeren Umverteilung von oben nach unten bevorzugt werden“, sagt Studienmitautor Markus Grabka.
„Staatliche Anreize zur Vermögensbildung sollten gegenüber einer stärkeren Umverteilung von oben nach unten bevorzugt werden.“ Markus Grabka
Gegen ein Comeback der Vermögensteuer sprächen auch die Befunde ihrer Studie, so die AutorInnen: Viele Hochvermögende halten ihr Vermögen hauptsächlich in Betrieben oder nicht selbst bewohnten Immobilien. „Mehr als die Hälfte der individuellen Vermögen von MillionärInnen werden produktiv genutzt und kommen so auch anderen Menschen und der Volkswirtschaft insgesamt zu Gute“, so SOEP-Forscher Johannes König. Auch die aktuelle Rezession infolge der Corona-Pandemie verdeutliche das Problem einer Vermögensteuer, da diese ertragsunabhängig bemessen wird und in einer Krisensituation die Rezession noch zusätzlich verschärfen kann.