Schieflage bei Rentnerinnen und Rentnern
Aktualisierte Berechnungen des IMK
Die starken Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln belasten insbesondere Familien mit niedrigeren Einkommen stark. Zugleich bewirken aber auch die beiden von der Bundesregierung beschlossenen Entlastungspakete für diese Haushalte einiges, vorausgesetzt beide Elternteile sind erwerbstätig. So summieren sich die Entlastungen bei einer Familie mit zwei erwerbstätigen Erwachsenen, zwei Kindern und einem unterdurchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 2000 bis 2600 Euro auf rund 64 Prozent der absehbaren zusätzlichen Belastungen, die in diesem Jahr durch stark verteuerte Energie und teurere Lebensmittel entstehen. Bei einer vergleichbaren Familie mit einem mittleren Einkommen von 3600 bis 5000 Euro netto sind es 54 Prozent, zeigen neue Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.* Spürbar niedriger fällt allerdings die Entlastung bei Familien aus, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist: Sie liegt bei einer vierköpfigen Familie mit 2600-3600 Euro Nettoeinkommen bei 44 Prozent und somit niedriger als bei einem Paar ohne Kinder, doppelter Erwerbstätigkeit und mittlerem Einkommen (51 Prozent). Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern und einem mittleren Einkommen für diesen Haushaltstyp von 2000-2600 Euro sind es 48 Prozent. Bei alleinlebenden Erwerbstägigen mit niedrigen Nettoeinkommen von bis zu 900 Euro werden die Mehrbelastungen durch die starken Preisanstiege bei Energie und Lebensmitteln zu rund 75 Prozent ausgeglichen, bei jenen mit sehr hohen Einkommen von mehr als 5000 Euro zu 38 Prozent (siehe auch die Tabelle in der pdf-Version dieser PM bzw. Tabelle 3 in der Studie; Links unten).
Auch Menschen in der Grundsicherung werden nach der neuen IMK-Analyse relativ stark entlastet: Die beschlossenen staatlichen Maßnahmen fangen bei ihnen rund 90 Prozent der zusätzlichen Kosten für stark verteuerte Energie und Nahrungsmittel auf – allerdings bei grundsätzlich sehr engen finanziellen Spielräumen, weshalb „auch eine geringe Belastung unmittelbar zu Konsumeinschränkungen führen dürfte“, schreiben Prof. Dr. Sebastian Dullien, Dr. Katja Rietzler und Dr. Silke Tober in ihrer Studie.
Während die aktuellen Entlastungspakete nach dem Urteil der Forschenden damit bei Erwerbstätigen und Empfängerinnen und Empfängern von Sozialleistungen „im Großen und Ganzen eine umfangreiche und sozial weitgehend ausgewogene Entlastung“ bewirkten, konstatieren sie bei Nichterwerbstätigen, vor allem Rentnerinnen und Rentnern, eine „soziale Schieflage.“ So beträgt die Entlastungswirkung bei Alleinlebenden, die im Ruhestand sind und ein niedriges Einkommen unter 900 Euro netto im Monat haben, gerade einmal 10 Prozent. 46 Prozent werden ausgeglichen, falls für diesen Haushalt ein Wohngeld-Anspruch besteht.
Mit Blick auf Nichterwerbstätige mit geringem Einkommen, beispielsweise Menschen im Ruhestand etwas oberhalb der Sozialleistungsgrenze, konstatieren Dullien, Rietzler und Tober daher einen akuten Nachholbedarf bei den Maßnahmen. Und auch wenn die Entlastungen für die meisten Haushalte mit Erwerbstätigen in diesem Jahr „spürbar“ ausfielen, müsse die Bundesregierung bereit sein, für das kommende Jahr noch einmal nachzulegen. Zwar prognostiziert das IMK aktuell einen Rückgang der Inflationsrate von knapp 7 Prozent in diesem Jahr auf knapp 3 Prozent 2023. Damit blieben die Preise insbesondere für Waren des Grundbedarfs aber hoch und es bestünde auch im kommenden Jahr eine erhebliche Zusatzbelastung durch erhöhte Energie- und Nahrungsmittelpreise.
Die neue Studie aktualisiert und erweitert eine Untersuchung vom April. Nun konnten die Be- und Entlastungen für mehr – insgesamt 11 – Haushaltstypen errechnet werden, die sich in Personenzahl, Einkommen und Erwerbskonstellation unterscheiden. Zudem berücksichtigt das IMK neben den Energiekosten auch die Zusatzbelastungen durch die deutlich höheren Nahrungsmittelpreise. Schließlich lässt sich die Wirkung der staatlichen Maßnahmen mittlerweile noch genauer kalkulieren, weil anders als im April beispielsweise die Details der Regelungen für 9-Euro-Ticket oder Tankrabatt bekannt sind. Grundsätzlich hat sich das Gesamtbild gegenüber den früheren Berechnungen nur geringfügig verändert. Veränderungen gegenüber der ersten Analyse vom April ergeben sich vor allem daraus, dass die Preise für Energie und Nahrungsmittel noch stärker gestiegen sind als damals absehbar war und sich die April-Analyse auf Energiekosten konzentrierte.
Die Belastung für die unterschiedlichen Haushaltstypen haben die Forschenden ermittelt, indem sie die haushaltsspezifischen Ausgaben für verschiedene Kategorien, also die jeweils repräsentativen Warenkörbe, aus der amtlichen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 fortschrieben und für 2022 die Belastung durch jene Preissteigerung, die oberhalb der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent lag, errechneten. Zugrunde gelegt ist dabei die IMK-Prognose für die Preisentwicklung, die Ende Juni veröffentlicht wurde.
Den Belastungen gegenüber gestellt wurden die Entlastungen aus den beiden Paketen der Bundesregierung. Diese bestehen aus Änderungen am Einkommensteuerrecht (wie der Erhöhung des Grundfreibetrags und des Arbeitnehmer-Pauschbetrags), den Entlastungen bei Energiepreisen (durch Abschaffung der EEG-Umlage sowie die vorübergehende Senkung von Energiesteuern auf Kraftstoffe), der vorübergehenden Verbilligung von ÖPNV-Tickets sowie Direktzahlungen wie Energiepreispauschale und Kinderbonus.
Der größte Teil der Entlastungen ergibt sich laut den IMK-Berechnungen aus Änderungen des Einkommensteuerrechts sowie aus Energiepreispauschale und Kinderbonus. Haushalte mit geringen Einkommen profitieren dabei vor allem von den Pauschalzahlungen, Haushalte mit höheren Einkommen vor allem von den Erhöhungen von Freibeträgen und Pauschalen im Steuerrecht.