Fragen und Antworten bei ÖKOTest – Murks im Nahles Gesetz
Am 7. Juli soll der Bundesrat das neue „Betriebsrentenstärkungesetz“ (BRSG) absegnen. Damit soll der Weg freigemacht werden für Betriebsrenten – im Gesetz „Zielrenten“ genannt -, bei denen es keine Garantie für das von den Arbeitnehmern eingezahlte Kapital und die in Aussicht gestellte Rentenleistung gibt. Sogar laufende Betriebsrenten können noch gekürzt werden.
Betriebsrenten ohne Garantien soll es ab 2018 aber nicht nur bei Entgeltumwandlung geben. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hebelt das neue Gesetz auch die Kapitalerhaltgarantie für Riester-Verträge aus. Denn auch für betriebliches Riestern entfallen künftig alle Garantien. ÖKO-TEST zeigt, was das heißt, wo die Stolperfallen liegen und welche handwerklichen Fehler das Gesetz birgt.
Frage: Wann und wo wird es die neue Zielrente geben?
Antwort: Die neue Zielrente wird es überall dort geben, wo Gewerkschaften und Arbeitgeberverband dies per Branchentarifvertrag vereinbaren (so genanntes Sozialpartnermodell). Für dieses Modell sieht das Gesetz eine neue Versorgungszusage vor, reine Beitragszusage genannt. Die kommt völlig ohne Garantien aus. Mehr noch: Das Gesetz schreibt sogar ein ausdrückliches Garantieverbot dafür vor. Das bedeutet: Der Arbeitgeber muss lediglich die Beiträge seiner Mitarbeiter für die künftige Betriebsrente abführen. Eine Haftung dafür, dass die eingezahlten Beiträge erhalten bleiben und es eine festgelegte (Mindest-) Höhe für die spätere Betriebsrentenleistung gibt, übernimmt er nicht. Doch auch die Versorgungseinrichtung oder die Sozialpartner übernehmen keine Haftung dafür. Sogar die Absicherung gegen Insolvenz des Arbeitgebers im Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) entfällt. Wenn das gemeinschaftliche Versorgungswerk der Sozialpartner daher schlecht wirtschaftet oder Börsenkrisen die Kapitalmärkte erschüttern, kann die Zielrente kann nicht nur bis Rentenbeginn, sondern auch sogar während der Rentenbezugszeit noch sinken.
Frage: Was soll der Verzicht auf Garantien bringen?
Antwort: Laut offizieller Begründung kann das Vorsorgekapital durch den Verzicht auf teure Garantien flexibler und zugleich chancen- und ertragreicher angelegt werden. So kann zum Beispiel ein deutlich höherer Anteil der Gelder auch in Aktien investiert werden. Das soll Arbeitnehmern letztlich eine höhere Betriebsrente bringen als die bisherigen Modelle.
Frage: Wo liegt die Gefahr bei den neuen Zielrenten?
Antwort: Die Gefahr ist, dass diese Kalkulation nicht aufgeht. Allerdings sollen zusätzliche Puffer eingebaut werden, um etwaige Verluste auszugleichen (so genanntes kollektives Sparmodell). Aus diesem Grund ist das Risiko nach Einschätzung der Experten vernachlässigbar.
Frage: Dann ist das Modell doch eine gute Sache?
Antwort: Theoretisch ja. Doch wenn das neue Modell wirklich keine Risiken birgt, dann stellt sich die Frage, warum Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles gleichzeitig das Haftungsrisiko für Arbeitgeber abbauen will. Denn das ist – laut Gesetzesbegründung – eines der wichtigsten Ziele im neuen Betriebsrentenstärkungsgesetz. Der Hintergrund: In der jüngsten Vergangenheit musste einige betriebliche Versorgungswerke, wie Pensionskassen und Direktversicherungen, infolge der anhaltenden Niedrigzinsphase mehrfach Leistungskürzungen durchführen, was nach geltendem
Recht vom Arbeitgeber auszugleichen ist. Der muss bislang für alle zugesagten Leistungen haften und damit auch das Haftungsrisiko für Fehler bei der Verwaltung des Vorsorgevermögens oder andere Kalkulationsrisiken übernehmen – auch wenn die Firma ein externes Versorgungswerk oder einen Versicherer mit der Durchführung beauftragt hat. Da dies als Handicap für die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung angesehen wird, soll diese Arbeitgeberhaftung beim künftigen Sozialpartnermodell völlig entfallen.
Frage: Wer trägt dann künftig das Risiko?
Antwort: Die Risiken beim neuen Betriebsrentenmodell bürdet der Gesetzgeber allein den Arbeitnehmern bzw. ihren Gewerkschaftsvertretern auf. Die sollen beim neuen Sozialpartnermodell als Aufsichtsrat oder durch eine Vertretung in den entsprechenden Gremien des jeweiligen Versorgungswerks dafür sorgen, dass die neuen Zielrenten nicht zu einer „Zocker-Rente“ mutieren, wie es Mathias Birkwald von den Linken formulierte. Kurz: Die Tarifpartner sollen die Verträge mitgestalten und beaufsichtigen – neben der formalen Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Frage: Ist die Kritik an den neuen Zielrenten berechtigt?
Antwort: Für seine markige Kritik an der Zielrente wurde Mathias Birkwald im Bundestag zwar heftig gescholten. Ein Blick in die Niederlande zeigt jedoch, dass die Warnhinweise durchaus berechtigt sind. Dort wurden vergleichbare kollektive Betriebsrentensysteme schon vor Jahren eingeführt und sogar mit einem üppigeren Risikopuffer ausgestattet als hierzulande geplant ist. Doch während sich die Fonds bis 2008 zunächst ausgesprochen gut entwickelten, gingen die Erträge in den Folgejahren spürbar zurück. Um das auszugleichen, wurden zunächst auf die jährlichen Erhöhungen beim angesparten Kapital verzichtet, vereinzelt sogar Beitragserhöhungen vorgenommen. Weil das alles noch nicht ausreichte, wies die niederländische Nationalbank dann 2013 erstmals 66 der insgesamt 415 Pensionsfonds an, auch bei den laufenden Renten zu kürzen – im Schnitt um zwei Prozent, vereinzelt aber auch um bis zu 6,3 Prozent. Das war ein Novum, das nicht nur die niederländischen Betriebsrentner verschreckte. Vielmehr sind ähnliche bittere Erfahrungen auch bei den geplanten deutschen Zielrente nicht ausgeschlossen.
Frage: Wie hoch ist der Reservepuffer bei den Niederländern und bei uns?
Antwort: Bei den Niederländische Pensionsfonds soll immer 5 bis 30 Prozent mehr Kapital vorhanden sein als tatsächlich benötigt wird. Hierzulande ist ein Reservepuffer von 0 bis 25 Prozent vorgesehen. Nur für die Rentenphase wurde noch eine Hürde eingezogen. Damit Betriebsrentnern keine allzu üppigen Rentenerhöhungen gewähren, die im Folgejahr bei schlechter Kapitalmarktlage womöglich zurückgenommen werden müssen, darf die Rente nur erhöht werden, wenn noch ein Restpuffer von 10 Prozent bleibt.
Frage: Gilt das neue Garantieverbot auch für betriebliche Riester-Renten
Antwort: Ja. Mit Einführung der neuen Zielrente hebelt der Gesetzgeber auch die Kapitalerhaltgarantie für Riester-Verträge aus. Denn wenn der Vertrag über den Betrieb abgeschlossen und von den Sozialpartnern in Form einer Zielrente organisiert wird, müssen Pensionsfonds, Pensionskassen oder Direktversicherungen ebenfalls keine Garantie mehr für den Kapitalerhalt oder eine Mindesthöhe bei den Renten geben. Der Grund ist simpel: Betriebliche
Versorgungswerke unterliegen – anders als private Versicherer – nicht dem kompletten Vorschriften-Katalog, wie sie der Gesetzgeber für private Anbieter im Alterszertifizierungsgesetz festgeschrieben hat. Das war bislang auch nicht nötig, weil das Betriebsrentengesetz für alle betrieblichen Versorgungszusagen im Minimum Kapitalerhalt vorgeschrieben hat. Mit Einführung der neuen, reinen Beitragszusage im Sozialpartnermodell entfällt diese Hürde aber – und das gilt auch für betriebliche Riester-Renten.
Frage: Ist die Abschaffung der Kapitalerhaltgarantie bei betrieblichen Riester-Verträgen gewollt?
Antwort: Ob das gewollt ist oder von allen Politkern und Experten schlicht übersehen wurde, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Fakt ist: Im Rahmen der nunmehr fast zweijährigen Beratungen über das neue Gesetz wurde über die Frage der betrieblichen Riester-Rente ohne Garantie nicht ein einziges Mal angesprochen. Es könnte sich daher also durchaus um einen handwerklichen Fehler handeln, der sich ins Gesetz eingeschlichen hat. Denn bei betrieblichen Riester-Verträgen greifen mehrere Regelungen – dem Betriebsrentengesetz, dem Steuerrecht etc -ineinander. Weil jetzt an einem Rädchen gedreht wurde, entfällt auf einmal die Garantie.
Frage: Gibt es für betriebliche Riester-Renten ohne Garantie denn überhaupt Zulagen?
Antwort: Kurioserweise ja. Denn anders als private Riester-Produkte müssen Pensionskassen, Pensionsfonds oder Direktversicherungen ihre Riester-Produkte nicht zertifizieren lassen. Es gibt also niemanden, der prüft, ob die Kriterien eingehalten werden, die im Alterszertifizierungsgesetz für private Riester-Verträge vorgeschrieben sind. Betriebliche Anbieter müssen zum Beispiel auch kein Produktinformationsblatt erstellen, wie es seit Jahresbeginn für private Riester-Renten vorgeschrieben sind. Die Förderfähigkeit wird lediglich im Steuerrecht geregelt. Doch heißt es in aber lapidar, dass die geleisteten Beiträge förderfähig sind, wenn “ wenn eine Auszahlung der zugesagten Altersversorgungsleistung in Form einer Rente oder eines Auszahlungsplans“ vorgesehen ist (§ 82 Abs. 2 EStG). Eine Garantie auf Kapitalerhalt wird nicht gefordert. Die stand ja bislang auch im Betriebsrentengesetz.
Frage: Warum sind Riester-Zielrenten riskanter als Zielrenten aus Entgeltumwandlung?
Antwort: Betriebliche Riester-Zielrenten müssen nicht einmal zusätzliche Sicherungspuffer und Arbeitgeberzuschüsse erhalten. Einen verpflichtenden Zuschuss in Höhe von 15 Prozent des Beitrags der Arbeitnehmer schreibt das Gesetz nämlich nur bei Entgeltumwandlung und nicht bei Riester-Verträgen vor. Damit sind Riester-Zielrenten vor allem für kleine Betriebe demnächst deutlich preiswerter und attraktiver als Zielrenten aus Entgeltumwandlung. Das Problem: Wenn der Arbeitgeber keinen Sicherungsbeitrag zum Ausgleich von Kapitalmarktschwankungen spendiert, müssen Arbeitnehmer den Puffer entweder selbst finanzieren – und zwar wahlweise durch Renditeverzicht oder durch zusätzliche Beiträge dafür. Das kommt teuer – womöglich sogar teurer, wie die jetzt so heftig kritisierten Garantien. Oder die Arbeitnehmer müssen ganz auf den Risikopuffer verzichten und damit ein signifikant höheres Kapitalmarktrisiko tragen als bei allen anderen geförderten Vorsorgemodellen. Denn es gibt keinen Ausgleich für Kapitalmarktschwankungen mehr.
Frage: Warum sind Ausgleichspuffer so wichtig?
Antwort: Ohne Puffer hängt das Anlagerisiko unter anderem auch von der Spardauer für die Betriebsrente ab. Wie die Ergebnisse aus der Kapitalmarktforschung belegen, müssen Anleger bei
Sparplänen im Schnitt nämlich mindestens 14 Jahre dabei sein, bevor sie einigermaßen sicher sein können, im Minimum wenigstens das eingezahlte Kapital zurück zu erhalten. Denn die Risiken und Kursschwankungen einer stärker aktienhaltigen Kapitalanlage gleichen sich – anders als bei Einmalanlagen- nur über einen längeren Zeitraum aus. Das lässt sich belegen.
Frage: Wer ist davon besonders betroffen?
Antwort: Das trifft vor allem für ältere Arbeitnehmer. Wer erst mit 50 plus mit dem Aufbau einer Betriebsrente nach diesem System beginnt, läuft aufgrund der kurzen Spardauer immer Gefahr, ein dickes Minusgeschäft zu machen. Doch auch für jüngere Arbeitnehmer ist das Modell kaum geeignet. Denn wenn ihr Sparplan nach 20 oder 30 Jahren just in einer Börsenbaisse endet, kann die Rendite ebenfalls ausgesprochen mickrig sein. Das schürt den Neid auf Kollegen, die vielleicht ein oder zwei Jahre früher dran waren, und womöglich mit einem dicken Plus nach Hause gehen konnten. Kurz: Zielrenten ohne Ausgleichpuffer zur Glättung der Renditen sind obendrein ausgesprochen unsozial.
Frage: Was kann schlimmstenfalls passieren?
Antwort: In einer anhaltenden Kapitalmarktkrise müssen die Leistungen der Zielrente gekürzt werden. Wie bereits erläutert, kann es schlimmstenfalls sogar zu Rentenkürzungen kommen. Das trifft insbesondere jene Rentner hart, die als Geringverdiener oder Beschäftigte aus dem Niedriglohnsektor ohnehin keine auskömmliche gesetzliche Rente haben und auf die Zusatzversorgung vom Betrieb dringend angewiesen sind. Wenn die jedoch aufgrund der Kürzungen so niedrig ausfällt, dass die Betroffenen auf Sozialhilfe angewiesen sind, muss der Staat womöglich Grundsicherung nach Kapitalmarktlage zahlen. Das ist eigentlich ein Unding. Doch solange die gesetzliche Rente keine Lebensstandardsicherung gewährleistet bzw. infolge des sinkenden Rentenniveaus bei Geringverdienern ohnehin unterhalb der Grundsicherung liegt, reicht das Zubrot aus der Betriebsrente womöglich nicht aus, um die Lücken zu schließen.
Frage: Gibt es weitere Gefahren ?
Antwort: Möglicherweise. Denn wenn es ähnlich läuft wie in den Niederlanden, wo die Pensionsfonds anfangs gute Renditen erzielten, bevor die Probleme sichtbar wurden, könnten betriebliche Riester-Renten ohne Garantie womöglich sogar zur Blaupause für die Abschaffung der Garantie auch bei privaten Riester-Renten werden. Damit würde der Staat – womöglich sogar mit dem sanften Zwang des Opting out – seine Bürger zwar zur Zusatzvorsorge zwingen, um die seit 2002 eingeführten Kürzungen bei der gesetzlichen Rente auszugleichen. Doch die Sicherheit, dass dieses Ziel auch erreicht wird, wäre noch weniger gewährleistet als bei den bisherigen überteuerten Riester-Produkten.
Frage: Wie kann der Gesetzgeber das verhindern?
Antwort: Will der Gesetzgeber diesen dicken Fehler im Gesetz noch ausmerzen, müsste er schnell handeln und zum Beispiel die steuerlichen Vorschriften für betriebliche Riester-Renten anpassen. Dabei würde es reichen, den Verweis in § 82 Abs. 2 EStG auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nummer 4 AltZertG entsprechend auszudehnen (inklusive Satz 3).
Frage: Aber sind Garantien in der momentanen Niedrigzinsphase nicht einfach viel zu teuer?
Antwort: Nicht immer. Umstritten und teuer sind vor allem die heftig kritisierten versicherungsförmigen Garantien. Das liegt aber nicht nur an den Kosten der Garantie. Vielmehr legen die Versicherer das Geld ihren Kunden derzeit auch überwiegend in sicheren Zinspapieren und damit extrem ertragsschwach an. Dabei könnten sie durchaus mehr Anlagerisiko wagen. Die Anlagevorschriften lassen ihnen durchaus Spielräume. Die werden aber nicht genutzt, weil die Versicherer bei einer solchen Anlagepolitik mehr Eigenkapital vorhalten müssen. Das haben sie derzeit überwiegend nicht. Das Riester-Recht kennt jedoch auch andere Garantiemodelle, wie sie zum Beispiel für Riester-Fondssparpläne gelten: Die kosten zwar auch Geld, sind aber längst nicht so teuer, wie das Garantiemodell der Versicherer – und liefern daher auch höhere Erträge. Zudem können Fondsgesellschaften das Kapital weitaus chancen- und ertragreicher anlegen als Versicherer und dennoch Kapitalerhalt zu Rentenbeginn garantieren. Das beste Beispiel liefert Union Invest. Die Kapitalanlagegesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken konnten für ihre riestergeförderte Uni-Profi-Rente bis Ende 2015 nach eigenen Angaben noch jährliche Renditen von 8,1 Prozent erzielen -ein Bombenergebnis im damaligen Kapitalmarktumfeld. Allerdings war der Umschichtungsmodus in schlechten Börsenzeiten den eigenen Kunden ebenfalls zu konservativ. Nach heftiger Kritik lässt Union Invest ab Juli diesen Jahres daher deutlich höhere Aktienquoten (mindestens 51 Prozent) bei seinen Riester-Fondssparplänen zu – ohne dass Sparer dafür auf den Kapitalerhalt verzichten müssen. Das zeigt: die Nutzung von Renditechancen lässt sich durchaus mit Sicherheit kombinieren.